„Wir wollten immer ein freies Volk sein“

Bogdan und Svetlana Voitiuk an der Sammelstelle des TSV Lauf. Die ukrainische Flagge zeigt allen, die spenden wollen, gleich den Weg zu der Sammelstelle

von SOPHIE URBANSKY | 17.03.2022 | Hauptverein

Ich könnte Putin gar nichts sagen, wenn er vor mir stehen würde, so sprachlos bin ich“, sagt Bogdan Voitiuk über die Situation in der Ukraine. Er und seine Frau Svetlana Voitiuk wohnen bereits seit acht Jahren in Lauf. Er ist in der Ukraine aufgewachsen, sie zunächst in Russland. Bei ihrem Studium in Kiew haben sich die beiden kennengelernt und lebten von da an zusammen in der Ukraine – bis 2011. Heute wohnen sie in Lauf und blicken mit Entsetzen in ihre alte Heimat. Aber statt in einen Schockzustand zu verfallen, packen sie an und starten zusammen mit Ralph Zagel, dem Leiter der Jugendabteilung des TSV und weiteren Helfern, eine Sammelaktion von Sachspenden für die Ukraine – Hygieneprodukte, Windeln, Verbandsmaterial, haltbare Nahrungsmittel, all das sammeln sie beim TSV.

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, die Sammelstation beim TSV Lauf zustarten?
Bogdan Voitiuk: Ich bin in Kiew geboren und aufgewachsen. Beim TSV Lauf spielen meine Kinder Fußball. Ich hab dann Ralph Zagel angerufen und gefragt, ob wir etwas in Richtung Spenden machen können, und er war gleich dabei.

Ralph Zagel: Am Montag haben wir den Aufruf gestartet, über Facebook und über die Internetseite vom Verein. Und schon am Dienstagabend ist das Ganze dann über uns hereingebrochen. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, Bogdan und damit den Menschen in der Ukraine zu helfen.

Herr Voitiuk, wie lange sind Sie und Ihre Familie schon in Lauf?
Bogdan Voitiuk: Das sind genau acht Jahre. Wir sind am 8. März nach Lauf gezogen. Wir sind als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen.

Svetlana Voitiuk: Meine Mutter war bereits in Deutschland. Ich bin ja eigentlich in Russland geboren und dann in die Ukraine umgezogen. Ich war mein ganzes Leben auf Reisen und wollte eine Heimat finden.

Wieso ist Ihre Wahl auf Deutschland gefallen?
Es war schon immer der Traum meiner Frau, hierherzukommen. Sie wollte damals schon mit 17 nach Deutschland, da hat es aber mit dem Visum nicht geklappt. Ich wollte eigentlich nicht weg, aber es war nun mal ihr Traum, und dann haben wir die Spätaussiedler-Ausweise beantragt. Die Bestätigung hat fast sieben Jahre gedauert und dann ha- ben wir die Flugtickets gekauft.

Sind Sie jetzt froh, in Deutschland zu sein?
Jetzt gerade ist vor allem meine Frau sehr froh, weil sie weiß, ich würde meine alte Heimat mit verteidigen. Aber auch ich bin froh, und von hier aus tue ich alles, was ich kann, um die Ukraine zu unterstützen.

Wie war die politische Lage in der Zeit, in der Sie in der Ukraine waren?
Bogdan Voitiuk: Das war die Zeit der Orangen Revolution. Wir haben da gerade unseren PhD in der Universität in Kiew gemacht und haben auch an den Demonstrationen teilgenommen.

Und wie war das?
Bogdan Voitiuk: Die Mentalität der Ukrainer war schon immer eher demokratisch. Wir wollten immer ein freies Volk sein und haben dafür gekämpft.

Auch in der Ukraine gibt es noch Oligarchen, wie empfindet man das als Bürger?
Bogdan Voitiuk: Ich hatte in der Ukraine eine Firma im Gartenbau, da hatte ich teilweise bis zu 20 Mitarbeiter. Dadurch war ich auch bei dem ein oder anderen Oligarchen und hab dort Hubschrauberlandeplätze gebaut oder Hektar an Rollrasen verlegt. Alles, was einen Haufen Geld gekostet hat. Aber mehr Kontakt zu ihnen hatte ich nicht.

Haben Sie noch Kontakt zu Menschen, die jetzt gerade in der Ukraine sind?
Bogdan Voitiuk: Ja, meine Eltern wohnen bei Kiew direkt im Norden. Ich habe zuletzt mit ihnen am dritten Tag des Krieges sprechen können. Seitdem haben wir keine Internetverbindung zu ihnen. Meine Schwester, die auch noch in der Ukraine ist, konnte sie zunächst erreichen, aber während des Gesprächs ist die Verbindung abgebrochen. Jetzt wissen wir gar nichts. Sie haben zwar ein Haus, aber der Keller ist eigentlich nur für Kartoffeln gedacht.

Ist Ihre Schwester auch noch in der Ukraine?
Bogdan Voitiuk: Ja, sie ist eine alleinerziehende Mutter und wohnt am Rand von Kiew. Auch sie will eigentlich nicht aus der Ukraine weg. Zum einen, weil es ihre Heimat ist, aber vor allem wegen unserer Eltern. Bei den Angriffen versteckte sie sich mit ihrer neunjährigen Tochter und 30 weiteren Leuten beim Nachbarn, weil er einen großen, stark gebauten Keller hat. Meine Nichte wollte gar nicht mehr aus dem Keller raus, weil sie so eine Angst hatte. Am Freitag hab ich sie endlich überreden können, dass sie zu uns nach Deutschland kommt.

Wie kann man sich so eine Flucht vorstellen?
Bogdan Voitiuk: Samstagfrüh sind die beiden gesund aus Kiew rausgekommen und haben sich auf den Weg zu Bekannten nach Winnyza gemacht. Die nächsten Tage sind sie dann weiter gefahren, zu Freunden, die mit ihnen ausreisen wollen. Aber zuerst mussten sie lange nach Sprit für die Weiterfahrt suchen.

Und dann?
Bogdan Voitiuk: Durch unsere Sammelaktion hier beim TSV kennen wir ein paar Jungs aus der Umgebung von Lauf. Die sammeln bei uns die Spenden ein, fahren diese an Sammelstellen, je nachdem, entweder nach Polen oder Rumänien und nehmen an den dortigen Grenzen Flüchtlinge wieder mit zurück. Sie werden auch meine Schwester und meine Nichte mitnehmen.

In der Ukraine gibt es auch viele Menschen, die Russisch sprechen. Sorgt das für Spannungen zwischen der Bevölkerung?
Bogdan Voitiuk: Das kann meine Frau besser sagen.
Svetlana Voitiuk: Nein, in der Ukraine wird da kein großer Unterschied gemacht. Manche sprechen Ukrainisch, manche Russisch. Die Hauptsache ist, dass die Leute zusammenhalten. Ich bin mit zwölf Jahren in die Ukraine gekommen und habe nie etwas wie Aggression erfahren, weil ich zunächst nur Russisch konnte. Mittlerweile spreche ich auch Ukrainisch.

Wie sehen Sie die momentane Politik der Ukraine, also vor allem das Verhalten des ukrainischen Präsidenten?
Bogdan Voitiuk: Ich finde es gut, was er jetzt macht. Früher hab ich immer gesagt, er ist ein Clown, weil er zuerst ja ein Komiker war. Aber jetzt glaube ich, dass er alles richtig macht. Auch dass er im Land bleibt, ist ein starkes Zeichen für die ukrainische Bevölkerung.

Wie ist die Stimmung bei Ihren Freunden in der Ukraine?
Bogdan Voitiuk: Viele, die noch da sind, wollen kämpfen. Ich kenne auch viele Frauen, die in der Armee sind und jetzt wieder im Einsatz an der Front sind.

Svetlana Voitiuk: Und viele bleiben da, weil sie an ihre Familie denken. Eine Freundin zum Beispiel hat zwei Söhne und einen Mann. Sie könnte nur mit ihrem jüngeren Sohn fliehen. Dann müsste sie ihren Mann und ihren ältesten Sohn zurücklassen. Das würde sie zerreißen. Genau wegen solcher Geschichten sammeln wir die Spenden. Das ist das Einzige, was wir gerade von hier aus tun können, um die Menschen in der Ukraine zu unterstützen.

Haben Sie Freunde, die nun zu den Waffen greifen müssen?
Bogdan Voitiuk: Ja, erst am Montag habe ich mit einem alten Freund gesprochen. Er hat mit mir Biologie studiert und ist genauso alt wie ich – jetzt trägt er Granaten und Waffen und verteidigt seine Stadt. Er hat seine Familie in Sicherheit gebracht und ist nun zurückgekehrt, um als Freiwilliger die Sicherheitstruppen zu unterstützen.

Hat er denn irgendeine Art von Ausbildungdafür?
Bogdan Voitiuk: Damals im Studium gab es einen Tag in der Woche, eine Art von Militär Tag, an dem alle männlichen Studenten militärische Übungen durchlaufen haben. Da hatte man dann Pistolen in der Hand oder wurde über das Verhalten bei ABC-Waffen aufgeklärt. Aber mehr Ausbildung hat er nicht dafür, dass er jetzt mit Kalaschnikows umgehen muss.

Kommen die Spenden, die Sie hier sammeln, dann auch bei so jemanden an?
Ralph Zagel: Teilweise werden Hilfslieferungen an der polnisch- ukrainischen oder der rumänisch- ukrainischen Grenze verteilt. Dort werden diese dann umgeladen und mit ukrainischen Spediteuren direkt in die Krisengebiete gebracht.

Wie viel Zeit haben Sie in die Sammelaktionschonreingesteckt?
Bogdan Voitiuk: Wir sind seit Diens- tag jeden Tag bis spät abends hier.
Svetlana Voitiuk: Vor allem die ers- ten Tage waren etwas chaotisch. Da konnten wir kein Ende der Schlange mehr sehen. Dann haben wir uns ein System überlegt und seitdem geht es besser und schneller.

Und wie lange wollen Sie noch Spenden sammeln?
Bogdan Voitiuk: Wir machen so lange weiter, wie es benötigt wird.
Svetlana Voitiuk: Gott sei Dank, ha- ben wir viele Leute, die uns unterstützen. Das ist einfach toll. Wir möchten uns auch noch mal bedanken bei allen, die hierherkommen und Spenden bringen.

Haben Sie Hoffnung, dass sich die Lage in der Ukraine in den nächsten Wochen besser wird?
Svetlana Voitiuk: Wir hoffen jeden Tag, dass es besser wird. Aber wie lang es noch geht, das weiß niemand.

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